Ich bin ein Nazikind

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Dieser Beitrag wird sehr ernst.

Ein Dialog mit Sylvia Kling hat mich heute sehr aufgewühlt….denn das Thema Nazi ist wohl ein unverarbeitetes Thema von mir, in mir….ein Trauma meiner Eltern weitergegeben und unbesprochen.

Meine Eltern waren Nazis, sehr junge Menschen, aber Nazis.

Ich gehöre eigentlich einer Generation an, deren Großeltern Nazis waren, aber ich bin ein Nachzügler.

In meiner Jugend wurde nicht viel gesprochen über den Krieg. Als Kinder spielten wir noch mit Begriffen wie „Arier“ usw..

Wie über dieses Thema schreiben ohne über meine Eltern erzählen?

Wie das Grauen, das Trauma, das diese Generation erlebte, weitervererbte und nicht auflöste, erzählen?

Mein ist ein Bedürfnis diese Last, dieses Erbe, nicht anzutreten. Mir ist es ein Bedürfnis mich um die Taten zu kümmern, die ich gemacht habe, meine Generation….da gibt es genug.

Ich lehne das Erbe ab. Genauso wie ich es als Kind abgelehnt habe, das Jesus für mich gestorben ist. Ich war da noch nicht da.

Meine Eltern sind nicht ich.

Ich bin eine andere Generation.

Ich möchte sie Ablegen, diese Last, diese Düsternis, diese Wirrnis, die nicht die meine ist.

Mein Liebster kommt aus einer Familie, deren Eltern Opfer der Nazis waren. Seine Erblast ist eine ganz andere. Er sagte mir heute im Gespräch, das ich über ihn und seine Eltern schreiben dürfe.

Denn uns verbindet etwas, das mein Bedürfnis nach Versöhnung endlich stillt.

Aber wie in Worte fassen?

Der Mann, dessen Eltern Naziopfer waren, liebt mich, deren Eltern Nazis waren.

Ich kenne seine Eltern nicht, fühle mich ihnen verbunden.

Da ist eine Ebene, die ich nicht verstehe.

Aber er, mein Liebster, reicht mir die Hand.

Wir sind eine andere Generation.

Wir lieben uns.

Und irgendwo da liegt sie die Versöhnung, die ich mir wünsche, die ich nicht begreife. Sie liegt da, weil wir als diese Generation uns lieben  und Neues aufbauen können.

 


30 Gedanken zu “Ich bin ein Nazikind

  1. Genau so ist es, was euch geschieht. Ihr habt euch lieben gelernt, zwei Kinder einer anderen Generation, die weder das eine noch das andere Erbe antreten müssen, und die das wissen. Dass er dir die Hand reicht, trotz oder gerade wegen der Geschichte, die eure Eltern erlebt haben, ist Versöhnung und geeignet, das Trauma zu beenden.
    Danke für deine Mut, diese Ehrlichkeit, mit der du uns, die Leser, an diesem Thema beteiligst. Wir tragen alle noch traumatische Narben, von Eltern und Großeltern geerbt, aus dieser Zeit. Mein Vater hat sich kurz vor Kriegsbeginn als 17-jähriger noch zum Kriegsdienst gemeldet. Nie hat er die grausamen Details erzählt, die er ganz sicher erlebt hat. Ich weiß gar nicht, ob ihm die Worte fehlten oder ob er uns, seine Kinder schonen wollte. Meine Mutter lebte in einem Dorf, in dem es eine kleine jüdische Gemeinde gab. Sie alle verschwanden und kamen um. Den Krieg hat sie am Rande erlbt, denn die Bomben vielen vor allen Dingen ja in den Großstätten. Aber auch sie hat Schlimmes erlebt. Manchmal erzählt sie davon. So habe ich da wenigsten eine Art Bild.

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  2. Liebe Gertrud,

    Meine Eltern und deren Eltern waren allesamt keine Nazis.

    Mein Geburtsort liegt in der Nähe von Remagen. Der Film „Die Brücke von Remagen“ ist sicher einigen noch bekannt.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Br%C3%BCcke_von_Remagen

    Und noch ein Link zum folgenden

    http://rwn24.de/der-verrat-der-keiner-war/

    Einen der Richter des damals eingesetzten Sondergerichts, Paul Penth, habe ich als Kind noch gekannt und ebenso eine Jüdin in meinem Geburtsort, die einen kleinen Laden betrieb.

    Beide Personen habe ich als Kind gegrüßt und mich mit ihnen unterhalten, weil ich beide gemocht habe. Und mein Vater fand beides richtig und gut.

    Ich könnte noch einiges erzählen. Wir sind nicht die Vergangenheit. Jede Generation und jede Person hat ihre eigene Geschichte. – Und jeder Mensch kann sich zutiefst irren und sich verirren.

    Vom verirrten Geist leben Kriege. – Gibt es heute keine Kriege mehr?

    Ich bin meist sehr vorsichtig beim Verurteilen und ich bin sehr für Frieden.

    Liebe Grüße,
    Frank

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      1. Liebe Gertrud,

        Ist jemand, der einmal gestohlen hat, schon ein Dieb? Oder ist jemand, der hier und da ein Stimmungstief erlebt, schon gleich ein Depressiver?

        Und wenn ein ganzes Volk mit der „Erbsünde“ der Nazivergangenheit belegt wird, dann gibt mir das zu denken….
        Die „Erbsünde“ ist ein perfides Konstrukt und dient wem???

        Nehmen wir doch einmal christliches, niedergeschriebenes Gedankengut zur Verteidigung:

        „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“

        Wenn ich mich recht erinnere, hat, laut der Bibel, diese Steinigung nicht stattgefunden….

        Wer in anderen Menschen bewußt Angst und Schuldgefühle erzeugt, was für einen Charakter mag dieser Mensch haben?

        Und wenn ein Volk so etwas tut, wie mag es um das beschuldigende und angstverbreitende Volk bestellt sein?…

        Liebe, Gertrud, Du brauchst Dich nicht zu bedanken.

        Gefühle von Angst, Schuld und Scham sind gräßlich.

        Wer auch immer so etwas erzeugt, versündigt sich gegenüber anderen, der Welt und gegenüber der eigenen Person…

        Wirkliche Liebe heilt und schafft Freude…

        Liebe Grüße,
        Frank

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      2. Lieber Frank,
        als ich Gestern den Text schrieb hatte ich starke Angstgefühle.
        Und in mir arbeitet auch jetzt noch so einiges an unklaren Gefühlen.
        Als Gestern dann so viele mich stärkende Beiträge kamen, habe ich zunächst geweint vor Erleichterung.
        Und Dankbarkeit.
        Und die möchte ich Euch zeigen, mitteilen……
        Auch jetzt steigen mir Tränen auf…..es tut einfach gut.

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  3. Ich wurde bei deinem Beitrags-Titel sofort wach – denn wie bereits erwähnt – braucht niemand dieses Erbe seiner Vorfahren aus der Vergangenheit antreten – auch meine Familie war davon betroffen – dabei denke ich an meine Mutter – sie überlebte 5 Jahre lang sämtliche Deportationen – für mich das größte Wunder – sehe deswegen auch keinen Anlass böse Saat auszusäen – Frieden für alle Menschen in dieser Welt – ❤

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  4. Du bist Du. Für Dein Denken und Handeln verantwortlich. Nicht für das anderer – daraus kannst Du allenfalls lernen.

    Meine Familie hat gegen die Nazis agiert. Ich hoffe, dass ich den Mut haben werde, auch so zu handeln, wenn es wieder „so weit kommen würde“. Wir können unsere Vorfahren als Vorbilder nehmen – als gute Vorbilder oder als schlechte. Aber handeln müssen wir selbst.

    Sei herzlich gegrüßt von
    Anna

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  5. Liebe Gertrud,

    ich habe deinen Dialog mit Sylvia verfolgt und finde es gut, dass du gleich schreibst.

    Du bist eine andere Generation, wie ich auch. Der Zwillingsbruder meines Vaters war auch ein Nazi und dazu ein strenggläubiger Katholik. In letzter Zeit habe ich mehrere Romane gelesen, deren Hintergrund der zweite Weltkrieg war. Und wir, die wir diese Zeit nur vom Hören-Sagen kennen, sollten niemanden verurteilen, der in den Zwängen der damaligen Zeit lebte. Wer weiß, wie wir gehandelt hätten?

    Dass du dein Erbe ablehnst, finde ich gut und konsequent. Und trotzdem sollten wir und dieser Zeit stellen, uns darüber informieren und alles tun, damit so etwas nie wieder passieren wird.

    Ein kleines Fehlerteufelchen bei dir:
    „Der Mann, deren Eltern Naziopfer waren,…“ dessen muss es heißen 🙂

    Liebe Grüße
    Anna-Lena

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    1. Liebe Anna-Lena,
      auch Dir danke ich für Deine Worte….ich bin so berührt.
      In meiner Jugend habe ich mich diesem Thema intensiv gestellt, dem Thema Nazis. Und ich habe meine Einstellung, die ich tag täglich lebe und umsetze.
      Was mich aber immer bedrückte war die Scham, die ich fühlte, weil ich zufällig Deutsche bin. Und das möchte ich einfach nicht mehr.

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      1. Das haben wir auch nicht nötig, liebe Gertrud. Wir leben da, wo wir rein zufällig geboren sind und egal wo wir auch sind, sollten wir alles tun, damit die Welt ein wenig heller und friedlicher wird.

        Altlasten unserer Vorfahren dürfen uns nicht erdrücken, im Gegenteil, wir sollten mit Stolz vorleben, dass wir anders sind.

        In diesem Sinne,
        ein aufrechtes Wochenende 🙂 !

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      2. Da sagst du was…mir war bisher gar nicht bewusst was da so für Altlasten vorhanden sind….und das Schreiben hilf mir, diese endlich abzulegen.
        Dir auch ein Wochenende, das Dir einfach gut tut…..😊

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  6. Vielen Dank für Deinen ehrlichen Beitrag….
    Nein, das Erbe musst Du wirklich nicht antreten! Es waren Deine Eltern und nicht Du!
    Und ich finde es eine wunderschöne Lovestorry mit Dir und Deinem Liebsten- toll! Das passiert, wenn man nicht in der Vergangenheit lebt, sondern in der Gegenwart!

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  7. ….Und irgendwo da liegt sie die Versöhnung, die ich mir wünsche, die ich nicht begreife. Sie liegt da, weil wir als diese Generation uns lieben und Neues aufbauen können….

    Deine Worte am Ende gehen mir sehr nahe und sind zugleich wohltuend und versöhnlich. Wir können die Vergangenheit nicht ändern und nur dafür sorgen, dass sie nicht vergessen wird. Dazu gehört vielleicht auch die Ehrlichkeit deines Textes.

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    1. Auch Dir vielen lieben Dank…..sicher hast Du recht was das Vergessen angeht….aber sich zu sehr um die Vergangenheit zu kümmern behagt mir auch nicht, in der Gegenwart gibt es doch genug zu tun…..

      Ja, Versöhnung ist eine starke Sehnsucht in mir.

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  8. So viele tolle Kommentare, liebe Gertrud!
    Es ist gar nicht SO schwer, wenn wir uns auf den Weg machen und den Rucksack abwerfen, der voller Lasten ist, die wir nicht brauchen. Diesen Rucksack haben andere gefüllt und uns auf unsere Reise mitgegeben.
    Ich bewundere Dich, dass Du den Mut aufgebracht hast. 💜💛💚

    Deshalb und gerade deshalb hast Du das Recht, Dich gegen Rechts zu stellen. Das hat nichts mit Deinen Eltern und Großeltern zu tun. Doch in erster Linie darstellen DU einfach Dein Leben haben, ohne dieser Erblast.

    Herzlichst
    Sylvia

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    1. Ja, ich hoffe es sehr. Im Augenblick arbeitet noch so einiges in mir. Aber die Kommentare haben meinem Seelchen gut getan.
      Ich bin gegen jede Art von Extrem, dagegen habe ich mich schon immer gestellt.
      Danke für das Anstoßen meines Themas…..😊

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  9. Die Vergangenheit und Taten unserer Eltern nicht unsere Geschichte ist. Ebenso auch Kinder von ‚ehrenhaften‘ Eltern nichts gemein haben. Jeder schreibt seine eigene Geschichte. Und nur jederselbst kennt auch die ganze Wahrheit. Urteilen über das Wieso und Weshalb vermag heute sowieso ein keiner mehr. Wir können nur unsere Lehren daraus ziehen. Ohne Scham, dafür aufrichtig. Das alleine bringt uns weiter.

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